Lina E.-Prozess - Lehrstunde in Sachen Phantombilder
Seit September 2021 beschäftigt sich das Oberlandesgericht Dresden mit brutalen Angriffen auf Neonazis aus Sachsen und Thüringen. Ein Ende des Prozesses gegen vier mutmaßliche Linksextremisten ist nicht absehbar. Er gibt auch Einblicke in die Arbeit der Polizei.
Der Prozess gegen vier mutmaßliche Gewalttäter aus der linken Szene ist am Donnerstag am Oberlandesgericht Dresden mit einer weiteren Zeugenbefragung fortgesetzt wurden. Eine Mitarbeiterin der Polizeidirektion Leipzig gab detailliert Auskunft, wie Phantombilder am Computer erstellt werden und welche Möglichkeiten den Beamten dabei zur Verfügung stehen. Das Phantombild einer an den Taten beteiligten Frau blieb damals allerdings unvollendet. Eine Zeugin hatte weder über Nase noch Mund der Tatverdächtigen Aussagen treffen können und war sich auch bei deren Augen nicht ganz sicher.
Die Generalbundesanwaltschaft wirft der aus Kassel stammenden Studentin Lina E. und drei Männern aus Leipzig und Berlin vor, zwischen 2018 und 2020 Leute aus der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach gezielt attackiert und zusammengeschlagen zu haben. Zudem ist die Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. In Lina E. wird die Anführerin gesehen. Die junge Frau sitzt seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, die drei Männer - zwei von ihnen sind 27 Jahre alt, einer 36 - sind auf freiem Fuß. Sie schwiegen bisher zu den Vorwürfen. Bis Ende 2021 gab es 21 Verhandlungstage. Das Gericht hat zunächst bis Ende März weitere Termine anberaumt.
Die Verteidigung wirft der damals mit den Ermittlungen beauftragten Sonderkommission Linksextremismus (Soko LinX) im Landeskriminalamt Sachsen vor, „aus einer Anzahl von Körperverletzungshandlungen eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren“ und spricht von einem „politisierten Verfahren“. Die Soko LinX habe nach einer Vielzahl erfolgloser Ermittlungen gegen Linke unter erheblichen Erfolgsdruck gestanden, der den Verlauf der Ermittlungen im hiesigen Verfahren mitbestimmte, hieß es in einem Zwischenfazit der Verteidiger.
Auch Begleitumstände des Verfahrens ließen aufhorchen. So wurden Details aus den Ermittlungen im rechten Magazin „Compact“ publiziert. Das legte die Vermutung nahe, dass Ermittler Informationen weitergaben. Ein entsprechendes Verfahren gegen einen Beamten wurde aber später wieder eingestellt. Im November 2021 wurden Ermittlungen gegen Lina E. im Zusammenhang mit einem Überfall auf eine Leipziger Prokuristin 2019 mangels hinreichenden Tatverdachts beendet. Im aktuellen Verfahren entlastete ein Leipziger NPD-Funktionär die Studentin indirekt, weil er bei der Attacke auf seine Person nur Männer als Angreifer wahrgenommen hatte.
Am Donnerstag erhielt das Publikum einen Einblick in die Arbeit der Polizei. Eine für Phantomzeichnungen zuständige Mitarbeiterin der Polizeidirektion Leipzig schilderte dem Gericht, wie mit dem Computerprogramm „Facette“ Bilder Tatverdächtiger entstehen. Dabei kann der Nutzer beispielsweise aus mehr als 300 Gesichtsformen und 534 verschiedene Nasen wählen, die zudem verändert werden können. Allein für Frauen im Alter zwischen 20 und 35 stehen 584 verschiedene Augenpaare zur Auswahl. In der Regel dauere die Erstellung eines Phantombildes eine Stunde, gab die Mitarbeiterin zu Protokoll. (dpa)
